response.UN.ability

In response.UN.ability stellen Die Redner die Frage nach Verantwortung und Möglichkeiten:

Die Verantwortung und Möglichkeiten eines Staates, einer Gesellschaft und des Individuums im Angesicht einer realen inneren oder äußeren (Terror-) Bedrohung.

Mit den wiederkehrenden terroristischen Aktivitäten, ehemals national, heute global, bleiben die Fragen:

- Wie agiert oder reagiert der Staat/das Individuum auf Bedrohung?
- Welche Aktionen und Reaktionen werden diskutiert?
- Wer ist in der Lage die Verantwortung zu tragen?
- Wer führt die Entscheidungen aus?
- und wie?

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Bilder

Mit-Redner

Helmut Schmidt hat in seiner sehr eindrücklichen und emotionalen Rede am 20.10.1977, kurz nach Hanns Martin Schleyers Tod, all diese Fragen gestellt. Antworten liegen neben dem Inhaltlichen vor allem im Menschlichen, ausgedrückt durch Tonfall, Duktus, hör- und spürbaren Zweifel an jeder sinnvollen Möglichkeit, mit dieser Situation und dieser Form der "Auseinandersetzung" umzugehen. Handeln oder Nichthandeln, das Ergebnis ist unabsehbar, die Verantwortung bleibt...

 

Heike Groos, Bundeswehrärztin, stellt die gleichen Fragen knapp 30 Jahre später. Sie war die verantwortliche Ärztin vor Ort beim Selbstmordanschlag auf den deutschen Bus im Juni 2003, der ca. 20 Soldaten nach Beendigung ihrer Dienstzeit in Kundus zum Flughafen fahren sollte.

Auch dort die Frage nach der Verantwortung, der Unmöglichkeit richtig zu handeln.

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Inszenierung

Diese beiden O-Ton-Rede-Dokumente, das Eine historisch, das Andere exklusiv für Die Redner im Interview aufgenommen, bilden die Grundlage für response.UN.ability. Choregraphien von TänzerInnen der Donlon Dance Company, gefilmt und in Rednermanier auf Leinwand gebracht, beschäftigen sich mit den gleichen Fragen, setzen diese in Bewegung und Ausdruck um.

Gemeinsam mit Rednermusik, teils auf afghanischen Instrumenten gespielt, entsteht ein dichtes und inhaltlich zeitloses Werk. In der Hoffnung, einen Beitrag zu der nicht geführten Afghanistan-Diskussion zu leisten.

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Die Reden

Helmut Schmidt: Terrorismus-Rede vor dem Deutschen Bundestag, 20.10.1977

"Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Das Bundesverfassungsgericht hat in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober im Namen unseres Volkes für Recht erkannt: Die Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes verpflichten den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Das Grundgesetz begründet eine Schutzpflicht nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger. Die Wahrnehmung dieser doppelten Pflicht setze voraus, dass die staatlichen Organe ihre Maßnahmen der Vielfalt der jeweiligen konkreten Situation ohne Festlegung auf ein bestimmtes Verhalten anpassen können.

Die ganze Welt erfährt in diesen Jahren in vielen Ländern das Wiederaufleben zerstörerischer Gewalt, von der die Menschheit glaubte, dass sie durch geschichtliche Erfahrung und durch menschliche Moral überwunden sei. Es gibt kein politisches Prinzip, mit dem der Rückfall von der Menschlichkeit in die Barbarei sittlich gerechtfertigt werden könnte.

Ich sage vor allem den jungen Menschen, dass Demokratie nicht allein aus dem Prinzip der Bildung von Mehrheiten besteht. Ihre, letztlich existenzielle, Begründung findet Demokratie in der Humanisierung der Politik, das heißt in der Humanisierung des unvermeidlichen Umgangs mit der Macht.

Indem die demokratische Verfassung von der Würde des Menschen ausgeht und nicht nur dem Staat, sondern auch dem Einzelnen verbietet, mit der Existenz und der Würde des Menschen nach Belieben und Willkür zu verfahren, schreibt sie uns allen die Grenzen unseres Handelns vor. Diese Verpflichtung dem Ganzen gegenüber umfasst auch, den Schwachen zu helfen, Minderheiten nicht auszuschließen und gegenüber Andersdenkenden Respekt zu bewahren! Wer aber aus dieser humanen Geschichte heraustritt, wer an die Stelle des demokratischen Rechts das Faustrecht der Gewalt setzt, der erlebt eine Ausweglosigkeit, in der vermeintliche Macht bis in Selbstzerstörung umschlagen kann.

Ich weiß, wie schwer es Älteren oft ist, Erfahrungen weiterzugeben, und wie reserviert junge Menschen häufig sind, wenn sie das Gefühl haben, belehrt werden zu sollen. Ich sage aber in großem Ernst, dass es unheilvolle Erfahrungen gibt, vor denen man sich schützen muss, die man selber nicht machen wollen darf, wo eigene Einsicht und Verantwortung gebieten, zuzuhören und zu bedenken und zu lernen.

Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wer weiß, dass er so oder so, trotz allen Bemühens, mit Versäumnis und Schuld belastet sein wird, wie immer er handelt, der wird von sich selbst nicht sagen wollen, er habe alles getan und alles sei richtig gewesen. Er wird nicht versuchen, Schuld und Versäumnis den anderen zuzuschieben, denn er weiß: Die anderen stehen vor der gleichen unausweichlichen Verstrickung. Wohl aber wird er sagen dürfen: Dieses und dieses haben wir entschieden, jenes und jenes haben wir aus diesen oder jenen Gründen unterlassen. Alles dies haben wir zu verantworten.

Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns!"

(Rede gekürzt)

 


Heike Groos: Interview für DIE REDNER, 29.09.2009

"Mittlerweile wussten wir ja auch, was passiert war, ne?
Das also dieser Selbstmordattentäter mit einem dieser gelben Taxis unsern Bus gerammt hatte, und der hatte eine halbe Tonne Sprengstoff an Bord, so dass der Bus und das Taxi zusammen in die Luft geflogen sind, also ne...
Und ihn hat's dabei also wirklich in tausend Teile zerlegt.

Und unsere Kameraden, die in dem Bus gesessen hatten, die waren auf dem Weg nach Hause. Die hatten ihren sechsmonatigen Einsatz hinter sich von 6 Monaten und waren auf dem Weg zum Flugplatz in Kabul, um nach Deutschland zurück zu fliegen.

Also über 20, die alle samt und sonders verletzt waren. Da war keiner unverletzt. Die meisten wurden aus dem Bus rausgeschleudert.
Da war'n wie gesagt keine Scheiben mehr drin, nichts, also eine ungeheu're Wirkung muss diese Explosion gehabt haben.

Also, aber, wir mussten aber so 'nen groben Überblick wenigstens gewinnen. Also hab ich so 'nen Filzstift genommen und hab denen einfach auf die Haut irgendwo 'ne Zahl geschrieben, damit ich dann sehen konnte, wenn ich jemand traf: "Ach, den hab ich schon mal gesehen, den hab ich schon mal gezählt".

Aber so nach wie gesagt 50 Minuten waren die Verletzten alle weg und mit einem Mal war auch dieser ganze Lärm verschwunden, und die ganzen Autos verschwunden, die ganzen Motorengeräusche und, ähm, da war'n eben auch nur noch die Toten und meine Kollegin und ich.
Weil wir gesagt haben, wir können die doch hier jetzt nicht so liegen lassen.
Und da war es dann sehr, sehr still.

Ja und  wir haben dann die drei so neben einander gelegt, so an den Strassenrand und,... also haben wir die so gerade hingelegt und die Sachen so'n bisschen, die Klamottem so'n bisschen zurecht gezuppelt, ne... und haben die zugedeckt...und...

Ja, dann fielen uns dann diese Erkennungsmarken in die Hand. Und jetzt wussten wir auf einmal nicht mehr weiter.
Was macht man eigentlich damit, ja?
Und wir konnten uns jetzt irgendwie gar nicht vorstellen, aber irgend jemand musste die ja kriegen, ne?

Ja, und dann kam der General, das ist ja der Ober Ober Boss, ja, der wird schon wissen, was er damit macht, dem geb' ich die jetzt.
Und ausserdem soll der auch mal sehen, ja?
Ich wollte den mit ins Boot holen, ja?
Sollst mal sehen, wie das is', ja?
Und deswegen hab ich ihm die gegeben.
Ja, und dann is' ihm ja ein bisschen, wie man bei uns so sagt, die Kraft aus dem Gesicht gefallen.

Und das war dann, wo wir dann diesen Jungen trafen, der sich dann halt nicht beruhigen ließ. Und, und  der sagte:
"Ich kann mich doch nicht ausruhen, ich kann mich doch nicht ausruhen. Ich muss doch meinen Freund suchen..sagte, nannte immer den Namen. Ich muss doch den sowieso suchen" .
"Wen suchst du?" Da sagte er noch mal den Namen, und wir dachten wieder an die Erkennungsmarken und dachten: "So eine Scheiße".
Wat sagt man da?
Und dann fiel uns dann nichts besseres ein als zu sagen:
"Du brauchst nicht mehr zu suchen"
Was er dann auch verstanden hat."

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